BYD ist Ihnen kein Begriff? Da sind Sie sicher nicht allein, obwohl Sie mit hoher Wahrscheinlichkeit schon mal Produkte dieser milliardenschweren chinesischen Firma genutzt haben â im Smartphone, im Laptop, in der Smartwatch. SchlieĂlich handelt es sich um einen der gröĂten Batteriezellenhersteller der Welt. Seit 2003 verfĂŒgt das Unternehmen ĂŒber eine Automobilsparte, die ihre Fahrzeuge ab dem vierten Quartal 2022 auch in Deutschland verkaufen möchte. Und das â man höre und staune â mit einem traditionellen Vertriebskonzept mit der schwedischen Hedin Group als HĂ€ndlerpartner.
Eine zentrale Rolle soll dabei der Atto 3 spielen. Mit rund 4,45 Metern LĂ€nge kratzt er an den AuĂengrenzen des Kompaktsegments und soll ID.3- und EQA-Kunden auf neue Pfade locken. Und wer genug von der tristen Innenraumgestaltung der Volkswagen-MEB-Produkte hat findet im Atto 3 eine knallig bunte Mischung aus veganem Leder, mal mehr mal weniger hochwertigen Kunststoffen und angedeuteten Gitarrensaiten als TĂŒrtaschen. Klar, diese Gestaltung ist Geschmackssache, aber sicher nicht langweilig.
Neigungssache
Langeweile kommt beim Fahren erstmal auch nicht auf. Dank eines 150 kW starken Frontmotors soll der Atto in 7,3 Sekunden auf 100 km/h sprinten. Der 310-Newtonmeter-Antritt ist E-Auto-typisch krĂ€ftig, setzt aber immer mit leichter Verzögerung ein. Durchdrehende VorderrĂ€der unterbindet die Elektronik wirksam. DarĂŒber hinaus wirkt der Atto bei der ersten noch sehr kurzen Ausfahrt auf einem kleinen Flugplatzkurs Ă€uĂerst weich abgestimmt. Das hilft zwar dem Komfort aber schon bei niedrigen Kurvengeschwindigkeiten kommt mĂ€chtig Neigung in den Aufbau. Die leichtgĂ€ngige, aber Ă€uĂerst gefĂŒhllose Lenkung lĂ€sst ebenfalls den Wunsch nach etwas mehr Verbindlichkeit und PrĂ€zision aufkommen. Ebenfalls auffĂ€llig: der kĂŒnstliche Sound fĂŒr den FuĂgĂ€ngerschutz dringt recht ungeniert und laut in den Innenraum.
Technisch geht der Atto dabei durchaus interessante Wege. Denn wĂ€hrend die beiden anderen fĂŒr den deutschen Markt angekĂŒndigten Modelle Han und Tang bereits seit 2020 bzw. 2019 in China angeboten werden, ist der Atto 3 eine noch recht neue Entwicklung, die auf einer neuen Plattform (e-Plattform 3) steht und seit 2021 in China als Yuan angeboten wird. In der Fahrzeugmitte sitzt eine 60,5 kWh-Variante der "Blade-Batterie". Die verdankt ihren Namen den langen, klingenförmigen Einzelzellen, die hintereinander quer eingeordnet das Akkupaket bilden. Verglichen mit anderen Batterievarianten kommt der BYD-Akku mit einer sehr geringen Anzahl an Zellen aus, die dafĂŒr deutlich gröĂer ausfallen. Die verwendeten Lithium-Eisenphosphat-Zellen (LFP) gelten als sicherer, zyklenfester aber auch weniger leistungsfĂ€hig in ihrer Energieaufnahme und -abgabe als die verbreiteteren Lithium-Nickel-Mangan-Cobaltoxid-Zellen (NMC). Das macht sich in der eher unterdurchschnittlichen maximalen Ladeleistung von 88 Kilowatt des 400-Volt-Systems bemerkbar. Als Richtwert fĂŒr die Ladezeit gibt BYD nur die Dauer fĂŒr den wenig verbreiteten Ladehub von 30 bis 80 Prozent mit 29 Minuten an. An der Wallbox wird 3-Phasig mit maximal 11 kW geladen. An einer Einphasen-Wallbox dauert es dann bei nur 3,6 kW entsprechend lang. Eine WĂ€rmepumpe ist serienmĂ€Ăig an Bord.
Bunter Hund und schneller Rechner
Vorne thront man recht hoch auf weichen Integralsitzen. Der Verstellbereich von Sitz und Lenkrad ist ausreichend, auch wenn die Kopffreiheit vorn mit dem serienmĂ€Ăigen Glasdach ihre Grenzen hat. BYD setzt neben einem groĂen Zentraltouchscreen, der ĂŒber eine Drehfunktion wie das eigene Smartphone im Hoch- und im Querformat genutzt werden kann, auch auf haptische Tasten. Fahrmodi und Rekuperation können mit Schaltern hinter dem WĂ€hlhebel angepasst werden und auch die Lenkradtasten fĂŒr Sprachsteuerung und Fahrassistenz sind gut zu erreichen. Insgesamt fĂ€llt die Bedienung des Atto erfreulich leicht, auch da der Touchscreen wie ein Android-Smartphone ĂŒber Home-, ZurĂŒck- und MenĂŒtaste verfĂŒgt und Fahrzeugeinstellungen sowie eine Reihe von Klimatisierungseinstellungen stets direkt zu erreichen sind. In den MenĂŒs selbst wird es dann zwar etwas kleinteiliger aber das System arbeitet dafĂŒr ĂŒberaus zackig, gefĂ€llt mit hoher Framerate, flĂŒssiger wie hochauflösender Darstellung und soll auch eine intelligente Sprachsteuerung bieten, die jedoch noch deutsch lernen muss und ein wenig MĂŒhe mit Englisch hatte. Und wĂ€hrend sich die verwendeten Materialien nicht billig anfĂŒhlen, finden sich doch noch einige VerarbeitungsmĂ€ngel wie eine abstehende A-SĂ€ulen-Verkleidung, unsauber eingepasste Schalter und die eher schlampigen Passungen mancher Interieurteile.