Ein Opel fürs Leben?

1 year, 6 months ago - 03. October 2022, auto motor und sport
Ein Opel fürs Leben?
Kaum hatte General Motors die Marke an PSA verkauft, da stellte Opel im März 2017 sein neues Flaggschiff vor: die zweite Generation des Insignia.

Wie gewohnt und geschätzt als Kombi sowie mit Schrägheck. Nur Freunde des gepflegten Stufenhecks gingen erstmals leer aus. Heute, knapp fünf Jahre später, darf man Bilanz ziehen: Der Insignia B ist auch gebraucht eine Größe.

Crisp gestylt ist er, der Opel Insignia Sports Tourer 1.6 Ecotec Diesel Business Edition, den uns Dat Autohus (www.autohus.de), einer der größten Gebrauchtwagenhändler Europas, für Fahr- und Fotozwecke zur Verfügung stellte. Und groß. Einige wenige Millimeter trennen ihn von der Fünfmetergrenze, die einst nur Luxuslimousinen übertrafen. Für diesen stattlichen Kombi verlangt Dat Autohus 12.780 Euro. Immerhin, der Insignia hat in den rund drei Jahren bereits viereinhalbmal die Erde umrundet, der Kilometerzähler steht knapp vor 180.000. Deshalb nehmen wir ihn unter die Lupe – und auf die Hebebühne.

Der weiße Grand Sport 2.0 Diesel ist zwei Monate älter, hat aber erst knapp 59.000 Kilometer abgespult. Sein Preis: 17.980 Euro. Der scheint zu passen, kurz nach unserem Besuch war das Auto verkauft. Obwohl ihm trotz attraktiver Innovation-Ausstattung inklusive Matrix-LED-Scheinwerfern ein klassenübliches Extra fehlt: das Automatikgetriebe.

"Macht nichts", sagt Autohus-Verkaufsberater Thomas Junge. "Für jedes Fahrzeug findet sich ein Käufer. Deutschland fährt am liebsten den Kombi, Osteuropäer hingegen mögen das elegante Schrägheck. Derzeit haben wir 47 Insignia B im Angebot, davon sind 35 Sports Tourer." Wir ergänzen: Und einer ein Country Tourer, die mit 25 Millimetern mehr Bodenfreiheit, Allradantrieb und ein paar rustikalen Planken versehene Soft-Offroad-Version. Das Gegenstück mit zehn Millimetern Tieferlegung wären die GSi-Modelle, die Opel mit den jeweils stärksten Motoren und Allradantrieb losließ, also 210 PS im Diesel und 260 PS im Benziner.

Karosserie: Erfolgreich auf Diät gesetzt

Der silberne Kilometerfresser ist davon weit entfernt, der von Opel entwickelte 1,6-Liter kommt auf 136 PS. Hört sich nach wenig an, doch 320 Newtonmeter Drehmoment sind so knapp nicht, zumal die Sechsgangautomatik sie sinnvoll verwaltet. Die Anfahrdrehzahl passt, um den Turbo anzublasen, ist aber nicht so hoch, dass das Aggregat wie bei einem Fahranfänger losheulen würde. So setzt sich der große Wagen mit dem kleinen Motor – es gibt noch eine Basisvariante mit 110 PS, davon stehen bundesweit nur 17 in den Online-Börsen – zügig in Bewegung.

Und wie hat er die fast 180.000 Kilometer verkraftet? Ausgezeichnet, so viel steht fest. Das Fahrwerk wirkt noch straff, obwohl offensichtlich noch nichts erneuert wurde. Die Verarbeitungsqualität kann sich ebenfalls sehen lassen, nichts scheppert. Der Unterschied zum nur ein Drittel gelaufenen weißen Grand Sport ist jedenfalls vernachlässigbar. Was zum Teil auf dessen Zweiliter-Diesel zurückzuführen ist. Der läuft trotz zweier Ausgleichswellen rauer, schickt zudem ein paar Vibrationen ins Kupplungspedal. Das gibt es beim silbernen Automatik-Kombi nicht, außerdem gehört der 1.6 zu den vibrationsärmeren Selbstzündern, obwohl auch er akustisch keine Zweifel am Arbeitsprinzip aufkommen lässt.

Im Vergleich zum massigen Vorgänger fühlt sich die zweite Insignia-Generation an, als wären drei Personen mitsamt Gepäck ausgestiegen. Opel nennt 200 Kilo Diät-Erfolg, die Waage bescheinigte einem 1.5 DI Turbo im großen AMS-Kombi-Vergleichstest 1476 Kilo – weniger als bei VW Passat und Skoda Superb. Eine viel kleinere Mercedes C-Klasse war sogar 106 Kilo schwerer!

Innenraum: Wohlfühlzone

Jeder Insignia B, auch Exemplare mit niedrigem Ausstattungsniveau, glänzt mit einem hochwertigen, gut gemachten Innenraum. Die hohe Gürtellinie und die üppigen Verkleidungen sorgen für Geborgenheit – ein Gefühl, was sich ganz klar als gediegen-amerikanische GM-Reminiszenz erklären lässt. Ebenso immer an Bord sind grundsätzlich sehr hochwertige Sitze, gute Ergonomie, und eine klapperfreie Verarbeitung. Und dann kommen erst die vielen optionalen Sonderausstattungen.

So zählte die 2017er-Preisliste auf 40 Seiten unzählige Möglichkeiten der Individualisierung auf, beginnend mit allein sieben verschiedenen Ausstattungsvarianten. Selection hieß die Basis, mit Klimaanlage, Tempomat, Bluetooth-Radio und einer Frontkamera nebst Kollisionserkennung und Spurhalteassistent nicht gerade karg ausstaffiert.

Nächste Stufe war Edition mit Lederlenkrad und Alurädern als erstrebenswerten Vorteilen. Interessant wird es für Gebrauchtkäufer heute mit Dynamic. Nicht wegen der Alu-Sportpedale oder 18-Zoll-Räder, sondern wegen des Navis 900 und der vielfach gerühmten AGR-Sitze, zertifiziert von der Aktion Gesunder Rücken e. V.

Innovation kam ebenfalls mit sogenannten Komfortsitzen, aber ohne AGR-Siegel, brachte dafür das hervorragende Matrix-LED-Licht mit. Außerdem Parkpiepser vorn und hinten, Zweizonen-Klima sowie eine zweite USB-Buchse. Verzichtbar: die Topausstattung Exclusive, einst 3615 Euro teurer als Innovation. Dafür gab es Velours-Fußmatten, ein OPC-Lederlenkrad mit Schaltwippen (bei Automatik) und anders designte 18-Zöller.

Empfehlenswert dagegen die Business-Pakete, die Opel für eilige Außendienstler schnürte. Die basierten auf Edition oder Innovation und wurden aufgewertet mit Navi und Parkpiepser sowie beheizbaren AGR-Sitzen. Dazu gab es Pakete mit diversen Assistenten und Extras. Der silberne Sports Tourer ist so einer, zusätzlich ausgerüstet mit DAB-Radio und Anhängerkupplung.

Motoren: Läuft geschmiert

Keiner der im Insigina B angebotenen Motoren hat die gravierenden Ölversorgungsprobleme früherer Modelle – so viel Vorweg. Ganz ohne Sorgen sind die Aggregate trotzdem nicht, auch wenn keine teuren Katastrophen zu erwarten sind. Gerade die Dieselmodelle, die mitunter schon nach dem Kaltstart schonungslos mit Volldampf über die Autobahn gescheucht werden, und dann womöglich noch heiß abgestellt werden, neigen zu kleineren Fehlern. Vereinzelt kämpft die variable Turbinengeometrie (kurz VTG), also die verstellbare Anströmung der Welle des Turboladers, bei ständigem Rußüberschuss im Abgas mit Hakeln oder gar völligem Verklemmen.

Etwas häufiger und aufgrund desselben Problems verkokt die vordere Lambdasonde. Beide Teile sitzen logischerweise noch vor dem Rußpartikelfilter. Wer nun einen etwas ruppigen Fahrstil pflegt, also zum Beispiel immer nur kurz, dafür aber ständig mit Volllast fährt, oder eben auch besagte Warmlaufzeit missachtet, produziert eine Menge öligen Ruß, der diese Komponenten rasch zusetzt. Eine vorausschauende Fahrweise und gelegentliches "Freibrennen" auf längeren Autobahnetappen (mit anschließender Abkühlphase) wirkt gut dagegen an.

Gerade die Zweiliter-Diesel nerven darüberhinaus mit Öllecks am äußeren Kurbelwellendichtring. Ihn zu tauschen ist recht arbeitsintensiv und somit nicht ganz billig. VIele Werkstätten kennen das Prozedere aber mittlerweile aus dem Effeff.

Getriebe: Endlich tadellos

Noch beim Insignia A galt es opeltypisch genau darauf zu achten, welches Getriebe verbaut ist, da einige Modelle häufig und chronisch mit Schwachstellen zu kämpfen haben. Diese Neigung ist beim Insignia B bislang nicht festzustellen. Schalt- und Automatikgetriebe machen auch bei höheren Laufleistungen keine Probleme, auch wenn sie die Aggregate über einen routinemäßigen Ölwechsel alle paar Jahre freuen. Auffälliger ist dagegen die Vielzahl an Transmissionen, die im großen Opel verbaut werden. Während bei allen Handschalter einen konstruktiv identisches Sechsganggetriebe zum Einsatz kommt, gibt es bei den Automaten Sechs-, Acht-, und Neunstufengetriebe. Jedes der drei nutzt einen Drehmomentwandler und scheut auf diese Weise auch keinen Anhängerbetrieb auf lange Sicht. Vom Charakter her liegen die Sechs- und Achtgangversion eher auf der verschliffenen Seite, während die Neungang-Box ihre vielen Übersetzungen flott und zielstrebig nutzt, dabei aber in der Regel nie unwirsch für Kraftschluss sorgt.

Fahrwerk: Bruder Leichtfuß

Beim Fahrwerk finden wir einen weiteren Vorteil der bereits erwähnten Diät: Nun weiß man, dass weniger Gewicht zwar die Dynamik steigert, den Federungskomfort aber häufig verschlechtert. Doch auch hier gibt sich der Opel keine Blöße. Zwar gehört er nicht zu den Flauschigsten, schließlich dürfen seine Federn auch bei 600 Kilogramm Zuladung nicht in die Knie gehen. Die üblichen Sünden des Straßenbaus werden aber artig absorbiert, insbesondere lange Wellen.

Mit den verstellbaren Dämpfern des optionalen FlexRide-Fahrwerks rumpelt es überall noch etwas weniger, doch die 980 Euro gab kaum ein Neukunde aus. Zudem hängt der Abrollkomfort von der Reifengröße ab. Opel bot bis zu 20 Zoll an, damit wird es dann doch etwas holzig.

Mängel: Trotz Macken wenig Ärger

Doch wie ist es um die Zuverlässigkeit des Insignia B bestellt? Schließlich hatte Opel in der Vergangenheit in diesem Punkt doch den einen oder anderen Durchhänger. Autohus-Verkäufer Thomas Junge sieht das entspannt: "Mit dem Insignia haben wir kaum Ärger, müssen die Garantieversicherung nur selten bemühen. Sonst würden wir dieses Auto bei dem hohen Kilometerstand auch nicht mehr Privatkunden anbieten."

Also Entwarnung? Nein, denn der Insignia B hat – wie die meisten jüngeren Opel – den Drang, sein Revier zu markieren. Und zwar mit Motoröl, das in der Regel aus dem Riemenscheibenseitigen Wellendichtring der Kurbelwelle dringt. Auch unsere beiden Gebrauchten schwitzen an dieser Stelle etwas, der weiße mit den wenigen Kilometern übrigens mehr als der Meilenmacher.

Außerdem ist Rost ein Thema. Weniger an der weitgehend verzinkten Karosserie, wohl aber an Anbauteilen wie dem vorderen Aggregateträger. Und die Auspuffanlage weckt Erinnerungen an alte Kadett-Zeiten, als das Rohrwerk alle zwei Jahre lautstark sein nahendes Ende herausposaunte.

Ein weiteres Thema sind Rückrufe. Der spektakulärste: Bei Facelift-Wagen mit Automatikgetriebe aus dem Bauzeitraum vom 5. Februar bis zum 7. April 2021 musste an rund 4000 Fahrzeugen die Pedalanlage ersetzt werden, weil die Trittplatte des Bremspedals brechen konnte. Und bei Sports Tourern vom 9. Juni 2017 bis 22. Februar 2018 waren manche Rückbank-Gurte fehlerhaft montiert, sodass sie nicht korrekt anlagen.

Ganz frühe Exemplare mussten sogar nachversiegelt werden, weil im Bereich der A-Säule Korrosionsschutz fehlte. Ferner war bei einigen Kombis die Frontscheibe nicht korrekt verklebt. Die meisten kleinen Nickeligkeiten beseitigte Opel im Rahmen von kostenlosen Service-Aktionen.

So etwa beschädigte Gewinde in den Stoßfängern, die das Einschrauben der Abschleppöse vereitelten. Oder nicht arbeitende Sitzbelüftungen aufgrund eines fehlenden Kabelstrangs. Auch gab es eine Serie von Anhängerkupplungen, deren Kugelkopf so dicht am Stoßfänger anlag, dass sich kein Anhänger überhaken ließ. Besonders ärgerlich: Im Modelljahr 2018 produzierte Opel eine Reihe von Fahrzeugen mit fehlerhaften Kopfairbags. Für deren Austausch musste der halbe Innenraum zerlegt werden, Zeitaufwand mehr als drei Stunden! Schneller behoben waren schnarrende Lautsprecher-Gitter in der Mitte des Armaturenbretts.

Doch solche Mängel dürften längst abgestellt sein, im Zweifel hilft ein Blick in die Service-Historie. Unterm Strich ist der Insignia B ein mehr als würdiger Nachfolger des Omega. Und wer immer noch dessen Hinterradantrieb nachweint, sucht sich eben ein Exemplar mit Allradantrieb.

Preise: Die Menge macht's

In Krisenzeiten spielen die Gebrauchtpreise bekanntlich ab und an verrückt. Mindestens aber sorgen sie dafür, dass gute Autos auch gutes Geld kosten – was beim Insignia zweifellos der Fall ist. Anders als bei modischen SUV oder bestimmten Premiummodellen, scheint der Insignia aber grundsätzlich auf dem Teppich zu bleiben. Ab gut 11.000 Euro gibt es eine brauchbare Mischung aus den zu Unrecht weniger beliebten 1.5er Benzinern, sowie aus Dieseln mit hohen Kilometerständen. Der weitaus am häufigsten Verkaufte Kombi ist hier übrigens bereits mit dabei. 15.000 Euro stellen das übliche Mittelmaß für gepflegte Gebrauchte vom guten Händler dar, ab 18.000 kommen die richtigen Leckerbissen. Mehr muss es auch nicht sein, denn – soviel wissen wir jetzt – das Alter meint es gut mit dem letzten echten Opel.

FAZIT

Der nächste Gebrauchte sollte nicht zu klein sein, kein schaukeliger SUV, unter 100 000 Kilometern und 20 000 Euro, aber auch nicht zu alt? Dann könnte der Insignia passen. Die letzte gemeinschaftliche Entwicklung von GM und Opel beweist Standfestigkeit, technische Skandale sind bisher unbekannt. Auch das Styling ist gefällig. Wer beim Kauf Ölverlust und rostige Motorträger ausschließt, bekommt mit dem letzten echten Opel viel Auto fürs Geld.

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