Gebrauchtwagencheck Ford Focus (4. Generation): Muss es immer Premium sein?

8 Monate, 2 Wochen her - 06. März 2024, auto motor und sport
Gebrauchtwagencheck Ford Focus (4. Generation): Muss es immer Premium sein?
Wenn's nicht unbedingt Premium sein muss, ist der Focus mit tollem Fahrverhalten und viel Platz eine gute Wahl. Reicht er auch an teurere Mitstreiter heran?

Wer die Autowelt nur mit Premium-Scheuklappen betrachtet, übersieht womöglich reizvolle Alternativen. Ford ist so eine – der Focus gehört weltweit zu den meistverkauften Autos überhaupt. So was klappt nur, wenn Preis und Leistung zusammenpassen. Was man den Kölnern dagegen weniger zutraut, sind technische Leckerbissen. Doch genau solche finden sich auch im Focus – die Ecoboost-Motoren. Der Einliter zum Beispiel war Motor des Jahres, und das seit seiner Einführung 2012 gleich elfmal in verschiedenen Kategorien. Und wo liegen sie sonst, die Stärken des Focus?

Karosserie: Geräumig mit Neigung zum Rost
Speziell als Kombi übertrifft der Focus mit 4,70 Meter Länge die meisten Kompakt-Konkurrenten. In Kofferraumvolumen umgerechnet kommen so 653 bis 1.653 Liter zustande – enorm! In den beiden Sitzreihen sorgt die langgestreckte Karosserie ebenfalls für einen großzügigen Raumeindruck. Windgeräusche, Spaltmaße und auch die Lackqualität überzeugen. Der Haken? Der fand sich bereits in unserem Gebrauchtwagencheck zum Ford Kuga 2 und heißt Rost. Obwohl unser Testwagen noch frei von ernstzunehmender Korrosion ist, bieten sich am Unterboden aufgrund der nachlässigen Verarbeitung zahlreiche potenzielle Rostherde. Die Abdichtungsmaße, die Blechkanten schützen soll, endet dann einfach mal irgendwo, die Fugen bleiben offen. Auch im Spritzwasserbereich sind die Nähte nicht schlampig, sondern überhaupt nicht abgedichtet. Die Auspuffanlage sieht bereits doppelt so alt aus, als sie eigentlich ist. Wer seinen Focus mag und gern länger behalten möchte, sollte schnell in eine nachträgliche Konservierung investieren.

Innenraum: Licht und Schatten
Auf den ersten Blick gefällt das Interieur nach sieben Jahren Bauzeit noch mit adäquaten Materialien, guter Verarbeitung und frischem Design. Kosteneinsparungen sind zwar vereinzelt für Auge oder Hand zu bemerken, jedoch nie dort, wo's wehtut. Im Gegenteil: Ständige Berührpunkte wie das Lenkrad oder der Schalthebel erfreuen mit auffallend hochwertiger Machart. Dass die unteren Bereiche von Türverkleidungen und Armaturenträger nur aus kargem Hartplastik bestehen, ist da schnell vergessen. Ähnlich erfreulich ist es um die Haltbarkeit der entsprechenden Materialien bestellt. Da gibt es selbst bei reichlich sechsstelligen Kilometerständen kaum Grund zum Meckern. Anders ist es um die Sitze bestellt, die nach einigen Kilometern immer irgendwo drücken oder zwicken – unabhängig von der Fahrergröße. Das geht auch besser. Dieses Urteil verdient ebenso das im Focus serienmäßige Touchscreen-Infotainment namens Sync 3, welches sich zwar grundsätzlich übersichtlich bedienen lässt, aber immer wieder mit schnarchigen Gedenkpausen oder gar Abstürzen nervt.

Motoren: Erfolgsgeschichte im DIN-A4-Format
Ford betont gern, dass dieser Dreizylinder mit seiner Grundfläche auf ein DIN-A4-Blatt passt, und in der Tat wirkt der gesamte Motor nicht viel größer als die Starterbatterie. Seine Besonderheit: die Zahnriemen. Ja, Mehrzahl, denn es gibt zwei: einen für den Antrieb der beiden Nockenwellen, einen für die Ölpumpe. Sie laufen innerhalb des Motors und somit in öliger Umgebung.

Und ja, das funktioniert, weil das Material der Riemen und das Öl aufeinander abgestimmt sind. Das bedeutet aber auch, dass Ford die Ölsorte exakt vorgibt: Viskosität 5W-20, Freigabe WSS-M2C948-B. Steht so ein Schmierstoff mal nicht zur Verfügung, dürfen zwischen den Wechseln maximal 0,5 Liter eines herkömmlichen Öls mit der Freigabe ACEA A5/B5 nachgefüllt werden. Diese Vorgaben sollte man ernst nehmen, denn bei einem Riemensalat ist der Motor in aller Regel hin. Weitere Bedenken sind fehl am Platz, denn die Ecoboost-Triebwerke haben ihre Haltbarkeit in den vergangenen zehn Jahren zur Genüge bewiesen – der 1.0 selbst in der stärksten Ausführung als Mildhybrid mit 155 PS.

Die Skepsis gegenüber dem kleinen Motörchen weicht sofort nach dem Losfahren der Erkenntnis, dass Hubraum eben doch durch einen gut gemachten Turbo zu ersetzen ist. Seidenweich kommt der Einliter von der Kupplung, zieht bereits im Drehzahlkeller gut durch und verblüfft mit seiner Laufkultur. Denn ordentlich konstruierte Dreizylinder ähneln im Schwingungsverhalten eben einem halben Sechszylinder, die doppelt so großen Zündabstände spürt man nur bei niedrigen Drehzahlen. Der Ford kommt sogar ohne Ausgleichswelle aus; ihre Aufgabe übernehmen gezielt angebrachte Unwuchten in der Kurbelwelle.

Genug der Theorie, in der Praxis schnürt man mit dem Focus entspannt über Land, hat genügend Reserven zum Überholen und spürt den Mildhybrid allenfalls beim Gasweg-nehmen. Dann löst die Rekuperation zum Laden des 48-Volt-Akkus ein überraschend kräftiges Verzögerungsmoment aus und man muss auf seiner Hausstrecke die Bremspunkte neu lernen.

Wer übrigens auf vier Zylinder besteht, muss entweder den ST kaufen, der mit 280 PS, 420 Newtonmetern und einer mechanischen Differenzialsperre den Rabauken im Focus-Lager spielt. Oder einen Diesel. Der 1,5-Liter, der den Bereich zwischen 95 und 120 PS abdeckt, entstammt dem Joint Venture mit PSA und gelangte von dort auch in verschiedene Opel. Der Zweiliter ist ein solides Eisen, das auch in Transportern dem harten Alltag standhält. Im Focus endete seine Karriere allerdings mit dem Facelift Ende 2021. Was schade ist, denn speziell als ST mit 190 PS hatte er Spaßpotenzial.

Getriebe: Ein Handschalter, zwei Automaten
Letztgenannten Diesel gab es dort übrigens nur mit der Sechsgang-Handschaltung. Was kein Nachteil sein muss, denn wenn die Seilzüge perfekt eingestellt sind, gehört die manuelle Ford-Gangwahl in die Klickediklack-Abteilung, präzise und leichtgängig. Alternativ gibt es zwei unterschiedliche Automatikgetriebe: Das Siebengang-Powershift gehört zur Gattung der Doppelkuppler, der Achtgangautomat entspringt einer Kooperation mit General Motors und hat einen Drehmomentwandler. Was eigentlich geschmeidigen Anfahr- und Schaltkomfort garantieren sollte, im Focus jedoch oft eine gewisse Ruppigkeit an den Tag legt. Kunden klagen, dass es beim Anfahren ruckt, bei kaltem Motor die hohen Drehzahlen zu lang gehalten werden und der Gangwechsel etwas zu sehr spürbar erfolgt. Dafür arbeitet der Wandlerautomat weitgehend problemlos, wohingegen der Doppelkuppler schon mal mit langen Schaltzeiten nervt. So kann es Betroffenen zufolge bis zu drei Sekunden dauern, ehe sich der Focus beim Wechsel von "R" auf "D" oder zurück wieder in Bewegung setzt.

Fahrwerk: Fahrdynamik im Focus
Was hier steht, ist nicht neu. Fahrwerke können sie in Köln. Zum Focus gehört seit jeher eine tolle Balance aus straff-sportlicher Fahrpräzision bei gleichzeitig tadellosem Komfort. Mit seinem recht langen Radstand beherrscht das der aktuelle Focus aus dem Effeff. Das Fahrwerk, bei der ST-Line (also wie im Fotoauto) zehn Millimeter tiefer, ist ebenfalls für Spaß zu haben, ohne mit Federungsvermögen zu geizen, und hält den Aufbau sehr ruhig. Die Lenkung ist feinfühlig und direkt, wirkt auf der Autobahnetappe aber etwas hibbelig. Gewöhnungssache. Wer tatsächlich beim einen oder anderen Fahrtraining oder Trackday ein wenig Fahrwerks-Feinkost genießen möchte, wird vom eigentlichen ST und dessen Sportfahrwerk verwöhnt.

Mängel: Vieles kann, nichts muss (kaputtgehen)
Der Testwagen besitzt die ST-Line, also "nur" die sportliche Ausstattung, die sich mit den meisten zivilen Motoren kombinieren lässt. Erstzugelassen ist er im Januar 2021, das Kilometer-Zählwerk steht auf 39.000, das Preisschild knapp unter 24.000 Euro. Der Erstbesitzer hat bei der Bestellung reichlich Kreuze gesetzt, außer Leder und Panoramadach ist alles an Bord. Wobei so ein großes Glasschiebedach im Alter ja nicht immer nur Freude bereitet, wenn Klappereien, Undichtigkeiten und defekte Antriebe für Ungemach sorgen – was aber so ziemlich alle Automarken betrifft. Beim Focus speziell gab es im Baujahr 2021 einen Rückruf wegen möglicherweise unzureichend verklebter Glasdächer.

Und wie ist es grundsätzlich um die Zuverlässigkeit des Focus bestellt? Der ADAC meldet für die Baujahre 18 und 19 Gelb, also Durchschnitt. Erst die 20er-Modelle liegen im hellgrünen Bereich. Häufigste Pannenursache: die Batterie. Das deckt sich mit den Erfahrungen vieler Kunden, die ebenfalls eine mangelhafte Lebensdauer des Stromspeichers monieren. Auch sonst hat Ford kein gutes Händchen für Strom: Bei den Mildhybriden führten unzureichend befestigte Batterie-Massekabel wegen der daraus resultierenden Brandgefahr zu drei Rückrufen der Baujahre 20, 21 und 23. Der Motorkabelbaum gab ebenfalls Anlass zu Bedenken: Er konnte durchscheuern und so Liegenbleiber produzieren. Kontaktprobleme in einem Spannungsverteiler (Baujahr 19) konnten diverse Fehlfunktionen verursachen.

Die sind allerdings meistens Resultat digitaler Ursachen: So gibt es zahlreiche Updates für alle möglichen Steuergeräte, betreffend vornehmlich die Assistenzsysteme, die elektrische Parkbremse, die Abgasreinigung, den eCall und natürlich das Sync-3-Multimediasystem.

Was nun nicht bedeutet, dass es keine mechanischen Probleme gäbe. So beanstanden die Überwachungsfirmen bei der Hauptuntersuchung häufiger, als dem Durchschnitt nach zu erwarten ist, Ölverlust. Der ist zumeist Ergebnis eines undichten Ölabscheiders in der Kurbelgehäuseentlüftung – der Kunststoff bekommt mit der Zeit schlicht Risse. Eine defekte Unterdruckpumpe kann dazu führen, dass Motoröl in den Bremskraftverstärker gelangt – der Rückruf betraf 1.532 Fahrzeuge. Noch deutlich mehr, nämlich 9.858, mussten wegen eines bruchgefährdeten Bolzens an der Verbindung zwischen Bremspedal und Hauptbremszylinder in die Werkstatt. Eher skurril: Beim Absenken der hinteren Seitenscheiben im Turnier der Baujahre 18 und 19 können diese den – nachlässig verlegten – Seilzug des Türöffners betätigen, worauf sich die betreffende Tür, nun ja, öffnet. Nicht ganz ungefährlich, aber, mal ehrlich, nichts, was es nicht auch bei Premium-Produkten gibt.

Preise: Guter Durchschnitt
Ford gehört wie Opel zu den Lieblingen der Flottenbetreiber, entsprechend besteht das Focus-Gebrauchtangebot zumeist aus dreijährigen Leasing-Rückläufern. Viel Geld ist dabei aber nicht zu sparen, vergleichbare Golf kommen kaum teurer. Um die 6.000 echte Gebrauchte sind online gelistet, ohne Tageszulassungen und Vorführer. Zwei Drittel sind Kombis, ähnlich hoch liegt der Anteil der Benziner. 26 Prozent sind Diesel, und der Rest entfällt auf die im Frühjahr 2020 eingeführten Mildhybrid-Modelle. Wer es etwas flotter mag: Auch 400 ST warten auf Käufer. Die günstigsten Exemplare (kleine Diesel und schwächere Ecoboost-Benziner sind hier ungefähr gleich oft vertreten) beginnen bei rund 13.500 Euro.

Fazit
Woran liegt es, dass der Focus in den Verkaufs-Hitlisten so weit hinten herumkrebst? Sachlich lässt sich ihm wenig vorwerfen. Also ein reines Imageproblem? Vielleicht muss man sich einfach mal davon lösen, denn die Verarbeitungsqualität wird auch bei den Premium-Produkten nicht besser, der Hartplastikanteil im Interieur steigt überall. Also kann man auch gleich den Ford kaufen, vom gesparten Geld den Rostschutz aufbessern und dann lange genießen.

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