Die gut verborgenen Qualitäten machen den VW Golf wohl auch in achter Generation in seiner Gesamtheit zum Maßstab der Kompaktklasse. Der Golf-Klasse.
Vor allem die letzten paar Generationen wurden optisch mit sehr sanfter Hand weiterentwickelt. So kam es insgesamt zu 35 Millionen verkauften Exemplaren in 45 Jahren, trotz SUV-Boom war der Golf bis zuletzt meistverkauftes Auto Europas (auch wenn der Thron in Österreich zuletzt wackelte). Und Wolfsburg macht auf dem Erfolgskurs weiter.
Dennoch ist das neue Golf-Design eines der spannendsten seit Langem. Straffer, kantiger, die Front tief geduckt, das ganze (nun immer viertürige) Auto fast vier Zentimeter flacher und drei Zentimeter länger, das streckt die Linie, wirkt bulliger, sportlicher. Böse LED-Scheinwerfer, deren Tagfahrlicht sich in der Chromspange fortsetzt, sind serienmäßig (Matrix optional), auch am Heck strahlen LED-Leuchten. Dort stören lediglich die sofort als Attrappen erkennbaren Auspuffblenden das Bild.
Präzise und geschmeidig
Die Fahreigenschaften hielten das sportliche Versprechen in den zum Test zur Verfügung gestellten Exemplaren, allesamt mit adaptiven Dämpfern ausgestattet. Deren Härte lässt sich in 15 Stufen verstellen, von sehr komfortabel (aber nicht schaukelig) bis sehr sportlich (aber nicht bretthart). Ein zentraler „Fahrdynamik-Manager“ unterstützt die Performance durch blitzschnelle radselektive Brems- und Dämpfereingriffe. Zu merken ist das praktisch nicht, sehr wohl aber, dass der Golf ungemein gut liegt und geschmeidig zu fahren ist. Er ist kaum ins Untersteuern zu bringen, auch ein Reifenquietschen müsste man mit Gewalt erzwingen.
Ebenso top: Die extrem präzise Lenkung verzückt sportliche Piloten, vermittelt aber auch entspannten Normalfahrern ein angenehmes Gefühl. Ein Genuss ist die Ruhe im gut gedämmten Innenraum, die weder von Windgeräuschen noch vom Motor allzu sehr gestört wird.
Vernetzt und digital
Das Interieur ist gewohnt geräumig angelegt, groß Gewachsene fühlen sich auch auf der Rückbank wohl. Wie gehabt. In Sachen Bedienung startet VW jedoch eine Revolution, es gibt fast keine klassischen Druckknöpfe/Schalter mehr. Hinter dem Multifunktionslenkrad blickt man grundsätzlich auf ein volldigitales Zehn-Zoll-Kombiinstrument, daneben auf einen bis zu zehn Zoll großen zentralen Touchscreen (Serie 8,25 Zoll), über den fast alles gesteuert wird. Unbedingt mitbestellen: das echte Head-up-Display.
Klavierlack-Plastik rund um die beiden TFT-Bildschirme soll die Illusion erwecken, dass sie ineinander übergehen, was aber nur mäßig gelingt und etwas billig wirkt.
Ganz im Gegensatz zur Technik dahinter! Man findet sich schnell zurecht, kann sich eigene Screens konfigurieren und je nach Ausstattung in bis zu 32 Lichtstimmungen schwelgen. Manche Schaltflächen dürften gerne größer sein, die meisten sind aber nicht zu verfehlen.
„Touchslider“ unter dem Display sind jetzt für Temperatur, Lautstärke etc. zuständig. Das ist kreativ, aber Drehregler wären sinnvoller. Wer nicht wischen und tatschen will, kann sprechen: Die neue Sprachsteuerung hört auf das etwas sperrige Kommando „Hallo Volkswagen“. Allerdings kann man nach dem Kommando nicht einfach weitersprechen, sondern muss auf Reaktion warten, wie der Test gezeigt hat.
Der neue Golf ist immer online und bietet teils kostenlos, teils gegen Aufpreis weitreichende Connectivity-Funktionen. Auf Wunsch dient ein kompatibles Smartphone als Autoschlüssel und neue Features wie ACC, Fernlichtassistent, Navigation oder auch WLAN-Hotspot lassen sich nachträglich online dazukaufen. Etwa wenn man den Wagen irgendwann gebraucht kauft und der Vorbesitzer das gewünschte Feature nicht mitgeordert hat.
Mit Car2X-Kommunikation wird der Straßenverkehr theoretisch mit jedem verkauften Golf ein Stück sicherer. Für reale Sicherheit sorgt der Golf serienmäßig u.a. durch Spurhalteassistent, Autonotbremssystem mit Fußgängererkennung und Abbiegeassistent. Optional erlauben seine Assistenzsysteme teilautonomes Fahren bis 210 km/h.
Fast alle Antriebe
Unter der Motorhaube wird der Bestseller nach und nach so ziemlich alle relevanten Antriebe außer reinem Elektroantrieb anbieten (statt einem E-Golf kommt der VW ID.3 auf den Markt): Benziner, Benziner mit 48-Volt-Mildhybrid, Plug-in-Hybrid (ab 06/2020), Diesel und Erdgasantrieb (ab 11/2020). Zum Bestellstart, der noch im Dezember 2019 erfolgt, gibt es
Das Einstiegsmodell soll erst ab Februar 2020 bestellbar sein und mit 90-PS-Dreizylindermotor unter 22.000 Euro kosten, inklusive Klimaautomatik, Keyless Start usw. Die Ausstattungsniveaus haben neue Namen bekommen und heißen nun Golf, Life, Style und R-Line.
Unterm Strich
Langweilig? Ganz und gar nicht! Es sei denn, man langweilt sich, wenn einen das Auto in Ruhe lässt. Die Lenkung ist nicht nervös, sondern präzise, das Fahrwerk nicht hart, sondern geschmeidig, man fühlt sich jederzeit gut aufgehoben. Und wenn einen der Hafer sticht, geht der ach so langweilige Wolfsburger ums Eck wie ein Karnickel. GTI, TCR und R werden übrigens auch wieder aufgelegt. Sogar das Design ist schärfer denn je. Lediglich im Innenraum ist ihnen irgendwie der Schmäh ausgegangen. Das wird aber durch die digitalen Schmankerln ausgeglichen.
Der Golf wird wohl auf absehbare Zeit das Urmeter im Kompaktsegment, landläufig „Golf-Klasse“ genannt, bleiben. Und selbst wenn die Baureihe in Zeiten der scheinbar unvermeidlichen Elektrifizierung irgendwann an Bedeutung verlieren sollte - eine ID.3-Klasse wird es nicht geben.
Warum?
Digital voll up to date
Hervorragende Fahreigenschaften
Gutes Platzangebot, vor allem angesichts der kompakten Außenmaße
Warum nicht?
Innenraumanmutung teils etwas billig, viele verschiedene Materialien
Oder vielleicht …
… Ford Focus, Opel Astra,Mazda3, Peugeot 308, Kia Ceed, Hyundai i30, Renault Mégane, BMW-1er, Mercedes A-Klasse oder, oder, oder …
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