KTM 890 Adventure: Sportlich über Stock und Stein

1 year, 3 months ago - 08. December 2022, Krone Zeitung
KTM 890 Adventure: Sportlich über Stock und Stein
Dass KTM bei Reiseenduros das Wort „Enduro“ im Namen ernst nimmt, stand stets außer Frage, das Aussehen der 890 Adventure mit ihrer freistehenden Frontpartie polarisierte jedoch wie schon beim 790er-Vorgänger.

Ab 2023 kommt sie nun mit neuer, ansehnlicher Verkleidung daher - wie sie sich fährt, konnten wir in Portugal herausfinden.

Genau zwei Jahre nach ihrem Erscheinen wurde der KTM 890 Adventure nun ein umfangreiches Facelift verabreicht, das natürlich weit über die auf den ersten Blick erkennbare veränderte Frontpartie hinausgeht. Auch Fahrwerk, Fahrmodi, ABS, Sitzbank oder Windschild wurden adaptiert bzw. sind neu. Die Frage, die sich uns nun vor dem ersten Ausritt auf den kurvenreichen Straßen mit gut 50 Prozent Offroad-Anteil im Hinterland der Atlantikküste stellte: Hat sich die Neue ihre Leichtigkeit und vor allem Vielseitigkeit bewahrt, die die Fans am Vorgängermodell so sehr schätzten?

Das Trumpf-Ass Motor spielt man unverändert aus

Angetrieben wird die KTM 890 Adventure weiter vom 899-ccm-Reihenzweizylinder LC8c, der 105 PS leistet und gepaart mit dem satten Drehmoment von 100 Newtonmeter in jeder Lebenslage souverän am Gas hängt. Einer der kompaktesten Motoren seiner Leistungsklasse, der schon davor über jeden Zweifel erhaben war und mit seinem sauberen Ansprechverhalten und kaum Vibrationen sowohl bei kniffligen Offroad-Passagen, als auch bei der sportlichen Pässehatz auf Asphalt für ein Grinsen unter dem Helm sorgt. Vor allem in Verbindung mit dem wunderbar funktionierenden Quickshifter, der leider immer noch ein aufpreispflichtiges Extra ist, aber ganz sicher zu den besten am Markt zählt. Und obendrein kann dieses Aggregat richtig sparsam - mit im Schnitt um die 4,5 Liter auf 100 Kilometer - bewegt werden. Kritikpunkt? Vielleicht die Tatsache, dass der Öl-Einflussstutzen nach wie vor schwer zugänglich ist - das hat man bei der Norden 901 von der Konzernschwester Husqvarna, die ja auf denselben Antrieb setzt, besser gelöst.

Die Gabel der 890 Adventure ist nun voll einstellbar
Aber kommen wir zu den Neuerungen. Die vielleicht wichtigste betrifft das Fahrwerk, was gerade auf den unterschiedlichen Strecken unserer Test-Runde gut zu spüren gewesen ist. Die 43-Millimeter-WP-Apex-Upside-Down-Gabel ist jetzt sowohl in Zug- als auch Druckstufe einstellbar und bietet wie das in Vorspannung und Zugstufe einstellbare Federbein weiter 200 Millimeter Federweg. Vom Grund-Setup wurde man etwas weicher als bei der extrem sportlichen Vorgängerin, was man vor allem auf der Reise zu schätzen wissen wird. Trotzdem lässt sich die 890 Adventure immer noch sportlich und präzise durchs Kurvenwerk bewegen, punktet aber auf schlechten Straßen und unbefestigten Wegen mit einem besseren Ansprechverhalten. Um das Fahrwerk an seine Grenzen zu bringen, muss man das Motorrad Offroad schon wirklich flott bewegen.

Anleihen vom Dakar-Racer 450 Rally
Die neue Verkleidung ist natürlich nicht nur ein Stück nach vorne gezogenes Plastik, um die Lücke zur Front zu schließen - da ließ KTM vielmehr die Erfahrung von unzähligen Dakar-Erfolgen mit einfließen. So sorgen zwei angeschraubte Aluminium-Arme für mehr Steifheit und Stabilität in der gesamten Front, die nun neben einem Navi auch jederzeit einem schweren Roadbook selbst auf wildesten Pisten guten Halt geben würde. In der Praxis wirkt sie sich aber vor allem durch einen besseren Wetterschutz aus, auch in Verbindung mit dem neuen Windschild, für den ebenfalls die 450 Rally Pate gestanden ist und in dem ein ungewohnt großes Loch ins Auge sticht. Kein Einsparen an Plastik, sondern das Ergebnis von endlosen Tests im Windkanal, um die Verwirbelungen am Helm spürbar zu reduzieren. Bis zum erlaubten Autobahntempo und ein wenig darüber hinaus konnten wir uns davon auch überzeugen: Ein spürbarerer Komfort-Sprung vom Vorgänger, wenn auch der Windschild weiter nicht verstellbar ist und so nicht für jeden wirklich perfekt sein kann. Wer lieber kleine Windschilder bevorzugt, kann sich alternativ jenen aus der 890 Adventure R anschrauben.

Die zweigeteilte Sitzbank wurde Langstrecken tauglicher
Selbiges gilt für die Sitzbank, wo man zwischen der serienmäßig zweigeteilten, der einteiligen aus der R sowie einer einteilig beheizbaren aus dem umfangreichen Power-Parts-Zubehör wählen kann. Das Serien-Gestühl wurde mit 840 oder 860 Millimeter Sitzhöhe (mit wenigen Handgriffen zu verstellen) um einen Zentimeter höher als beim Vorgänger-Modell, in der Praxis wird sich das aber kaum auswirken, weil das Sitzpolster weicher wurde und man dadurch tiefer einsinkt. Ein spürbarer Komfort-Gewinn, der sich vor allem dann auswirkt, wenn man den ganzen Tag im Sattel verbringt, was auf Reisen ja nicht selten vorkommt. Störend: In der höheren Position ist ein deutlicher Spalt zwischen Sattel und Verkleidung zu sehen, das hätte man eleganter lösen können. Die Sitzposition ist entspannt aufrecht, bei einer KTM Adventure sitzt man seit jeher mehr auf dem als „im“ Motorrad. Optional gibt es noch eine niedrige Bank, auf dem sich die Sitzhöhe auf bis zu 825 Millimeter reduzieren lässt, der ebenfalls erhältliche Tieferlegungs-Kit geht dann jedoch zu Lasten des Federwegs bzw. der Bodenfreiheit von serienmäßig 233 Millimeter.

Fahrmodi und ABS „gehören jetzt zusammen“
Insgesamt stehen vier Fahrmodi zur Verfügung, neben dem aufpreispflichtigen Rallye-Mode, in dem man die neunstufige Traktionskontrolle jederzeit während der Fahrt mittels Auf- und Ab-Taste selbst wählen oder auch gänzlich deaktivieren kann, sind das „Street“, „Offroad“ und „Rain“, die das Zusammenspiel von Gasannahme, Traktionskontrolle und jetzt auch endlich ABS sehr gut abgestimmt auf den jeweiligen Einsatzzweck kombinieren. Beim Vorgänger musste man ja neben dem Fahrmodus auch immer noch zwischen Straßen- und Offroad-ABS mit geländeoptimierten Regelintervall am Vorderrad bzw. am Hinterrad vollständig deaktiviert wählen. Zum Einsatz kommt übrigens neue 9.3 MP ABS-Modul mit 6D-Sensor von Bosch, im Zusammenspiel mit den 320-Millimeter-Doppelscheiben vom spanischen Hersteller J. Juan gibt’s an der Bremsleistung bzw. -sicherheit nichts zu bekritteln.

Fünf-Zoll-TFT-Farbdisplay zeigt mit Bildern, was man gerade macht
Sehr gut ablesbar ist das neue, schon aus der Husqvarna 901 bekannte, kratzfeste 5-Zoll TFT-Farbdisplay, das nun auch mit Farbbildern die jeweiligen Einstellungen visualisiert und so das Navigieren im Menü erleichtert. Unverändert blieb die intuitive Menüführung über die Tasten am linken Lenker, die ohnehin zu den übersichtlichsten am Markt zählt. Eine USB-Steckdose sowie eine verbesserte Pfeilnavigation „turn-by-turn +“, die wir auf unserer Ausfahrt jedoch noch nicht testen konnten, runden die Reisetauglichkeit der KTM ab. Letztere macht das Aufrufen von zehn Adressen bzw. Telefonnummern direkt über das Display möglich, ohne dafür das Smartphone in die Hand nehmen zu müssen.

Demo-Modus: Erst nach 1500 Kilometer entscheiden, was man kauft
Neu am Motorradsektor ist der sogenannte Demo-Modus, dank dem der Käufer erst nach 1500 Kilometern entscheiden muss, welche elektronischen Extras er tatsächlich braucht und daher dann auch bezahlen muss. So lange sind der Rallye-Fahrmodus, Quickshifter, Motorschlupfregelung MSR, Tempomat etc. freigeschaltet, so dass man sie gleich am eigenen Fahrzeug ausprobieren kann. Warum sie dann nicht sowieso inklusive sind, wo man sie doch praktisch bereits an Bord hat, begründet man bei KTM mit den hohen Entwicklungskosten.

Tiefer Schwerpunkt immer noch ein Highlight dieses Motorrads
Je kniffliger die Passagen auf unserer Testrunde wurden, desto mehr wussten wir wieder einmal den tiefen Schwerpunkt durch den weit nach unten gezogenen Tank zu schätzen, der das Motorrad handlicher macht, als vergleichbar schwere Reiseenduros. Mit knapp unter 200 Kilo trocken bzw. 215 fahrfertig vollgetankt zählt die 890 Adventure zu den leichteren in der sogenannten Mittelklasse, die endurotypischen Raddimensionen von 21 Zoll vorne und 18 Zoll hinten lassen sie auch über gröbere Hindernisse hinwegrollen. Aufgezogen ist serienmäßig jetzt übrigens der Pirelli Scorpion Rally STR. Ein Reifen, der den Kompromiss zwischen Straße und Offroad ähnlich gut hinbekommt wie das Motorrad und obendrein auch im Regen sehr gut funktioniert, was auf Reisen bzw. für Vielfahrer kein unwesentliches Argument ist.

Motorrad und Motor werden in Österreich gebaut
Unterm Strich serviert KTM die 890 Adventure im Modelljahr 2023 mit einem richtig gelungenem Facelift, wobei eine nicht unwichtige Information zur realistischen Einschätzung ihrer Marktchancen noch fehlt: Der Preis, welcher erst im Jänner bekannt gegeben werden soll. Dann auch gleich für die mit dem edleren Fahrwerk für härteres Offroad ausgestattete 890 Adventure R sowie die nächstes Jahr wieder ins Sortiment kommende 790 Adventure. Letztere wird beim chinesischen Partner CFMoto gebaut und mit dem 95 PS sowie 88 Nm starken Zweizylinder bestückt, der nun mit 20 Prozent mehr Schwungmasse kultivierter laufen soll als früher. Die beiden 890 Adventures werden, wie alle „großen“ KTMs ab 890 Kubik, dagegen in Österreich gebaut: Der Motor in Munderfing, das Motorrad in Mattighofen.

Warum?
Made in Austria
Weil sie fescher geworden ist
Um so ziemlich überall hinzukommen
Der Motor ist immer noch ein Freudenspender
Fein abgestimmte Elektronik für On- und Offroad

Warum nicht?
Weil man keine elektronischen Helfer im Motorrad mag
Weil ein 19-Zoll-Vorderrad für Feldwege genügt und auf der Straße agiler ist

Oder vielleicht …
… das edlere R-Modell, Husqvarna Norden 901, Honda Africa Twin, Ducati Desert X, Yamaha Tenere 700…

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