Der Volkswagen-Konzern steht vor tiefen Einschnitten, deren Umfang noch nicht ganz klar ist. Im Raum stehen das Schließen dreier VW-Werke in Deutschland und bis zu mehrere Zehntausend Entlassungen. Zuletzt hat VW die Mitarbeiter, die Anleger und die Politik mit einem Gewinneinbruch um 64 Prozent geschockt.
Nun rechtfertigte VW-Konzernchef Oliver Blume das angekündigte Sanierungs- und Sparprogramm bei Volkswagen. Die Fehler für die wirtschaftlichen Probleme bei VW seien in der Vergangenheit gemacht worden, sagte er "BILD am SONNTAG". Das Einsparziel stünde fest, nur der Weg dahin sei "flexibel gestaltbar". Damit verwies Blume auf die intern laufenden Gespräche: Neben der Werksschließung und den Entlassungen wurden auch Pläne bekannt, Geld über Verzicht auf Boni und Lohn einzusparen. Zuletzt kam der Vorschlag auf den Tisch, Jubiläums-Boni zu streichen.
Wie kam es zur VW-Krise?
Als Gründe für den Sparkurs nannte Blume die schwache Nachfrage in Europa und den deutlich gesunkenen Gewinn aus China. Beides lege "jahrzehntelange strukturelle Probleme bei VW" offen. Blume kündigte an: "Unsere Kosten in Deutschland müssen massiv runter." VW sei in der Heimat schlicht zu teuer. Er verwies auf zu hohe Arbeitskosten: "Es ist hier oftmals mehr als doppelt so hoch, wie der Durchschnitt unserer europäischen Standorte." Baustellen seien auch hohe Entwicklungs- und Vertriebskosten. Immerhin: "Der Konzernumsatz liegt aktuell leicht über dem Vorjahr – unsere neuen Produkte kommen super an, was der Anstieg des Auftragseingangs im dritten Quartal belegt."
VW war zuletzt durch die Absatzflaute in China und schleppende E-Auto-Verkäufe weltweit in die Krise gerutscht. Andere Hersteller zogen mit innovativeren und günstigeren E-Fahrzeugen vorbei.
Was würde ein Lohnverzicht bringen?
Einem Bericht zufolge könnte Volkswagen einen Teil der geplanten Einsparungen über einen Lohnverzicht erreichen. Wenn die Gehälter bei VW gekürzt und Boni wie Sonderzahlungen gestrichen würden, könnte der Konzern jährlich zwei Milliarden Euro einsparen, berichtete das "Handelsblatt" unter Berufung auf ein Dokument des Vorstands. Damit könnte VW die Hälfte des Sparziels schaffen, ohne Stellen zu streichen.
Wie stark sackte der Gewinn bei VW ab?
Im vergangenen Quartal meldete VW von Juli bis September einen Gewinneinbruch nach Steuern um 64 Prozent. Gemessen am Vorjahreszeitraum sank der Überschuss auf 1,58 Milliarden Euro ab, das Ergebnis im laufenden Geschäft schmolz um 42 Prozent auf 2,86 Milliarden Euro. Trotz Absatzschwungs lag der Umsatz nur knapp unter Vorjahresniveau, was bei schwindendem Gewinn aber eine verringerte Rendite bedeutet. Ein Unternehmenssprecher verwies auf den schrumpfenden Automarkt in Europa, bei dem derzeit zwei Millionen Autos pro Jahr weniger als geplant verkauft würden. Auf VW entfielen ungefähr 500.000 Fahrzeuge. Bei VW liegt die Rendite derzeit weit unter der Zielmarke von 6,5 Prozent.
Wie wurden die Sparpläne bekannt?
Vor einer Woche verkündete der Gesamtbetriebsrat der Kernmarke Volkswagen Details zum Sparkurs, wonach mindestens drei deutschen Werken das Aus drohen soll. Auch könnten Zehntausende Beschäftigte entlassen werden, auch durch betriebsbedingte Kündigungen. Das hatte die Chefin des VW-Konzernbetriebsrates, Daniela Cavallo, auf einer Belegschaftssitzung in Wolfsburg mitgeteilt. Der VW-Vorstand habe die Arbeitnehmervertretung über die Pläne informiert.
Nach dieser Information begann die Spekulation, welche Standorte es treffen könnte. Seitdem stand die Sorge um den Erhalt der Jobs im Mittelpunkt. Bundesweit fordern Politiker, die Arbeitsplätze zu erhalten.
Welche VW-Werke gibt es in Deutschland?
Derzeit stellt VW hierzulande in zehn Werken Autos her und beschäftigt dabei rund 120.000 Mitarbeiter. Die Hälfte der VW-Werke sind in Wolfsburg oder im niedersächsischen Umland angesiedelt: Sechs Werke liegen in Niedersachsen, drei in Sachsen, eines in Hessen. Hier ein Überblick:
Welche VW-Werke könnten geschlossen werden?
Der VW-Betriebsrat macht sich öffentlich Sorgen um das Werk Osnabrück. Es gilt als kleines Werk mit auslaufenden Produktionsverträgen und damit als besonders gefährdet. Aber auch die gläserne Manufaktur in Dresden könnte es treffen, möglicherweise verbleibt nur das Auslieferungszentrum.
Auch die Werke Emden und Zwickau werden als Problemfälle gehandelt. Eigentlich gelten die E-Auto-Standorte als zukunftssicher, doch was ist, wenn die schlechte Nachfrage nach elektrischen VW anhält? Dann könnte deren Produktion an anderen Standorten zusammengezogen werden. Und Chemnitz? Baut Verbrennungsmotoren, die gerade verstärkt nachgefragt werden, aber deren Zukunft ist ungewiss. Kassel könnte sich als großer Standort in Sicherheit wiegen, doch laut "Frankfurter Rundschau" hält der dortige Betriebsratschef das Werk für "nicht sicher".
Welche Einschnitte drohen noch?
Laut VW-Betriebsratschefin Cavallo sollen die im Konzern verbleibenden Beschäftigten auf zehn Prozent des Lohnes verzichten und die nächsten zwei Jahre keine Gehaltserhöhung bekommen. Auch die tarifliche Zulage von monatlich 167 Euro soll nach BILD-Informationen entfallen.
Ganze Abteilungen sollen geschlossen oder verlagert werden
Nun sollen ganze Abteilungen geschlossen oder ins Ausland verlagert werden. In den verbleibenden Standorten sollen den Plänen nach Kapazitäten verringert werden, also Schichten und Montagelinien herausgenommen werden.
"Alle Werke betroffen, keines ist sicher"
In Wolfsburg sagte Cavallo gegenüber der Belegschaft: "Alle deutschen VW-Werke sind von diesen Plänen betroffen. Keines ist sicher!" Im September hatte VW einen seit 30 Jahren geltenden Vertrag mit der Belegschaft aufgekündigt, wonach betriebsbedingte Kündigungen ausgeschlossen waren. Die sind nun ab Mitte 2025 möglich.
Was fordert Niedersachsen als Anteilseigner?
Das SPD-regierte Land Niedersachsen kann als Anteilseigner bei VW (zwanzig Prozent) dank der sogenannten Goldenen Aktien bei keiner Unternehmensentscheidung überstimmt werden. Der niedersächsische Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) und Kultusministerin Julia Willie Hamburg (Grüne) sitzen im VW-Aufsichtsrat und haben bei wichtigen Entscheidungen ein Vetorecht. Entsprechend will Weil Werksschließungen verhindern. Er habe die "unverändert klare und ernst gemeinte Erwartung, in den Verhandlungen Alternativen zu Werksschließungen oder der Aushöhlung industrieller Kerne zu erarbeiten", sagte er. Zur Lösung der aktuellen Krise des VW-Konzerns müssten alle Seiten Beiträge leisten.
Wie reagiert die Bundespolitik?
Auch aus Berlin kamen beschwichtigende Reaktionen: Ein Regierungssprecher forderte VW auf, die Arbeitsplätze im Konzern zu erhalten. Man müsse noch abwarten, was Volkswagen selbst dazu erklärt, sagte ein Regierungssprecher. Klar sei, dass nach Einschätzung von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) "mögliche falsche Managemententscheidungen aus der Vergangenheit nicht zu Lasten der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer gehen dürfen". Stattdessen müssten die Arbeitsplätze erhalten, gesichert werden. Bayerns Ministerpräsident und CSU-Chef Markus Söder sticht mit einer besonderen Forderung hervor: "Es braucht einen Auto-Marshallplan." Mit Material von dpa und Reuters
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