Schöner Traum oder doch realistisch? Selbstbewusst ist er auf jeden Fall, der Auftritt von BYD (sprich Bie Wai Die), einem der größten Elektroauto-Hersteller Chinas. Und die erste Testrunde im designierten Bestseller, dem BYD Atto 3, ließ uns definitiv nicht den Kopf schütteln, sondern anerkennend nicken.
Der Qualitätseindruck ist jedenfalls sehr beachtlich. Keinerlei Nachlässigkeiten bei der Verarbeitung, größtenteils schöne, wertige Materialien im Innenraum, feine Haptik und dazu ein richtig schnelles (Android-basierendes) Bediensystem mit einem bis zu 15,6 Zoll großen, drehbaren (!) Touchscreen. Großes Kino. Außerdem gibt es auf der Mittelkonsole einige echte Knöpfe sowie (eine Wohltat!) eine Lautstärke-Walze.
Europäisches Design
Mit 4,46 Meter Länge, 1,88 m Breite und 1,62 m Höhe ist der Atto 3 ein relativ großer Kompakter, vier Zentimeter kürzer als ein BMW iX1. Nicht einmal das Design irritiert, es ist insgesamt auf der Höhe der Zeit. Gefällig, schnittig, modern. Von hinten kann man sich ein wenig an aktuelle Mercedes-Modelle oder den Smart #1 erinnert fühlen, wegen des Leuchtenbandes. Kein Fehler. Dabei hat Chefdesigner Wolfgang Egger gar keine Daimler-Vergangenheit, stattdessen stehen Alfa Romeo (u.a. 156, 166, 147 und 8C Competitizione), Audi und Lamborghini im Lebenslauf.
Poppig-verspielter Innenraum
Der Innenraum ist sehr jugendlich geraten, fast schon verspielt. Was man für einen Halter für frisch getoastete Toastbrotscheiben halten könnte, sind Luftausströmer. Und die Gummibänder in den Türen, welche das Türfach bilden, sind wie Basssaiten gestimmt - sie spielen die ersten drei Töne von Deep Purples „Smoke on the Water“. Das allein zeigt schon, dass es den Leuten bei BYD offenbar auf Details ankommt.
Das Platzangebot geht sehr in Ordnung, groß Gewachsene kommen auch hinter Hünen gut zurecht, sowohl bei der Knie-, als auch bei der Kopffreiheit. In den Kofferraum passen 440 bis 1338 Liter Gepäck, der Laderaumboden lässt sich auf zwei Höhen einlegen.
Es gibt durchaus auch hartes Plastik im Innenraum, allerdings kaum an den Flächen. Je nach Sitzposition kann die Lüftungsausströmereinheit etwas hart gegen das Knie drücken, auch der Türgriff ist so ein Kandidat. In der Praxis wird man mit der elektrischen Sitzverstellung aber eine Position finden, die derlei Probleme umgeht.
Deutsch ist unterwegs
Das Navi arbeitet schnell und auch sonst tadellos. Es zeigt auch z.B. umliegende Ladestationen an. Eine Reiseroute inklusive Ladestopps kann es allerdings nicht berechnen. Und: Derzeit steht nur Englisch als Systemsprache zur Verfügung. Im Frühjahr wird Deutsch allerdings per Update nachgereicht - over the air.
Haltbare Batterie, üblicher Antrieb
Ein 150 kW/204 PS starker Permanentmagnet-Synchronmotor treibt die Vorderräder an, das (nach DIN) 1750 kg schwere Kompakt-SUV beschleunigt in 7,3 Sekunden von 0 auf 100 km/h. Höchsttempo 160 km/h.
Die Batterie (aus Eigenproduktion - BYD ist zweitgrößter Batteriehersteller der Welt) im Wagenboden speichert netto 60 Kilowattstunden, was eine WLTP-Reichweite von 420 Kilometer ermöglicht. Dabei handelt es sich um einen Lithium-Eisenphosphat-Akku, der ohne Kobalt und Nickel auskommt. Sie soll im Fall eines Unfalles besonders sicher sein, außerdem vergleichsweise unempfindlich gegen Kälte bzw. damit zusammenhängenden Kapazitätsverlust. Allerdings dauert das Aufladen relativ lang, denn die Ladeleistung beträgt nur 88 kW mit Gleichstrom. Für das Aufladen von 10 auf 80 Prozent muss man mit fast einer Dreiviertelstunde rechnen. Wechselstrom lädt der Atto 3 dreiphasig mit 11 kW.
Solider Fahreindruck
Ist man im BYD Atto 3 unterwegs, irritiert zunächst mal - nichts. Alles ist solide, der Motor ist unhörbar, kein Sirren kommt aus dem Antrieb. Auch kein Klappern oder Knistern aus dem Gebälk. Der Antritt ist elektrotypisch spontan, rekuperiert wird zweistufig (nur übers Menü einstellbar). Anders als bei vielen anderen Herstellern (Mercedes etc.) verändert das Bremspedal seine Lage nicht, wenn rekuperiert wird. Wünschenswert wären mehrere via Lenkradpaddles anwählbare Rekuperationsstufen. Segeln oder One-Pedal-Drive beherrscht der Chinese nicht.
Rekuperiert wird auch beim Tritt auf das Bremspedal. Wie viel Energie gerade zurückgewonnen (oder beim Gasgeben verbraucht) wird, kann man am übersichtlichen Tachodisplay ablesen.
Das Fahrwerk ist komfortabel abgestimmt. Auch hier wird nicht gespart: Mehrlenker an der Hinterachse, die Bremsen (rundum Scheiben) stammen von Brembo. Fahrdynamischer Schwachpunkt ist die gefühllose Lenkung. Sie lenkt leicht verzögert und etwas schwammig ein, außerdem stellt sie nicht ganz zurück, sondern lässt den Wagen in einem leichten Bogen statt geradeaus fahren, wenn man das Lenkrad nicht gerade hält. Im Alltag wird das die meisten Autofahrer kaum stören, spaßiges Flitzen durch Wechselkurven sollte man dem Atto 3 nicht abverlangen.
Die Preise
Es gibt zwei Ausstattungsstufen: Comfort und Design, wobei schon Comfort als Vollausstattung durchgehen würde, wenn Design nicht noch voller wäre. Immer serienmäßig sind etwa Wärmepumpe, großer, drehbarer Touchscreen, Sprachsteuerung über „Hey, BYD!“, Top-Rundumkameras, das volle Assistenzpaket samt Spurführungsassistent und Querverkehrs-Autostop usw. Außerdem kann man mit dem BYD Atto3 dann auch externe Geräte (E-Bikes etc.) laden (V2L). Basispreis 45.390 Euro (mit abgezogener Förderung 39.990 Euro).
Legt man 2400 Euro drauf, ist der Bildschirm nicht 12,8, sondern 15,6 Zoll groß und dreht sich nicht manuell, sondern elektrisch. Dazu kommen noch die elektrische Heckklappe und das PM-2,5-Luftreinigungssystem (statt des bloßen Filters). Metalliclack ist immer aufpreisfrei.
Fahrzit
Es ist schon eine Ansage, für ein kompaktes Elektro-SUV einer bei uns völlig unbekannten chinesischen Marke so viel Geld zu verlangen - da muss der Wagen auch einiges dafür bieten. Und genau das ist dem ersten Eindruck nach der Fall. Einziges echtes Manko ist die schwache Ladeleistung.
BYD baut nun ein dichtes Händler- und Servicenetz auf, die Garantie ist überdurchschnittlich, insbesondere für die Batterie: vier Jahre oder 120.000 Kilometer auf das Auto, acht Jahre oder 200.000 Kilometer auf den Akku. So viel bietet kaum jemand.
Übrigens hat BYD gerade einen Showroom in der SCS, Österreichs größtem Einkaufszentrum, bezogen. Direkt neben dem südlichen Media Markt. Alle Elektrogeräte an einem Ort, sozusagen.
So geht’s weiter
Es werden weitere vierrädrige Elektrogeräte folgen: zunächst die Fünfmeter-Limousine BYD Han und das Siebensitzer-SUV BYD Tang (jeweils 70.800 Euro), dann noch drei weitere:
Im Sommer 2023 folgt die Limousine Seal eine Klasse unter dem Han, danach kommen ein B-Segment-SUV namens Dolphin sowie ein 4,70 Meter langes D-Segment-SUV, das Song heißt.
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