Rimac Nevera: von 0 auf 300 km/h in 9,22 Sekunden

1 Jahr, 7 Monate her - 18. Mai 2023, autobild
Rimac Nevera: von 0 auf 300 km/h in 9,22 Sekunden
1914 PS, 2360 Nm, 100-200 km/h in 2,59 Sekunden: Die Zahlen des Rimac Nevera klingen absurd. Wie fährt sich das schnellste Elektroauto der Welt?

1914 PS lauern unter meinem rechten Fuß und warten nur darauf, losgelassen zu werden. Um das Ganze in Perspektive zu setzen: Das ist so viel Power, wie drei (!) Porsche 911 (992) Turbo S leisten. Der Rimac Nevera ist nicht nur das mit Abstand stärkste Auto, das ich je gefahren bin, das Hypercar ist auch das schnellste Elektroauto der Welt. Topspeed 412 km/h – und somit schneller als ein Bugatti Veyron! Heute darf ich den über zwei Millionen Euro teuren Nevera fahren. Es gibt nur ein Problem: Die Testfahrt findet auf öffentlichen Straßen statt!

Aber bevor ich losfahre, blicke ich zurück in den März 2018: Damals präsentierte eine kroatische Marke namens Rimac auf dem Autosalon Genf ein elektrisches Hypercar mit dem Codenamen C_Two. Das bescheidene Ziel: das schnellste Elektroauto der Welt zu bauen und die ultimative Hypercar-Marke zu werden. Damals wurde Rimac belächelt; doch nur sieben Jahre später hat das Unternehmen rund 2100 Mitarbeiter und erwirtschaftet einen Jahresumsatz von über 500 Millionen Euro.

Rimac wurde 2009 gegründet

Gegründet wurde Rimac im Jahr 2009 vom damals 21-jährigen Mate Rimac. Nur zwei Jahre später debütierte der Concept_One, ein elektrisches Hypercar mit 1200 PS. Nach nur acht Stück war Schluss. Rimac fehlte das Geld. Denn um ein Hypercar zu entwickeln und zu produzieren, benötigt man Geld, viel Geld. So entstand Rimac Technology – eine Sparte für Batterie-Technologie und mehr, die mittlerweile bekannte Marken wie Hyundai, Aston Martin und Koenigsegg beliefert.

So weit in aller Kürze, denn den gesamten Entwicklungsprozess des Unternehmens niederzuschreiben, würde definitiv den Rahmen sprengen. Was dieser Exkurs aber verdeutlicht: Mate Rimac hat eine Vision. Aktuell läuft es beim Unternehmen, und damit das auch so bleibt, entsteht momentan der Rimac Campus. Das zukünftige Hauptquartier wird von Insidern bereits als Kroatiens Antwort auf das Silicon Valley tituliert.

Auf dem Gelände soll es unter anderem Restaurants und einen Friseur geben. Drumherum führt die Teststrecke – eine obligatorische Driftkurve inklusive. Darauf bestand Petrolhead Mate, der eine ansehnliche Autosammlung besitzt. Noch 2023 soll die Zentrale in Zagreb fertiggestellt werden. Investitionsvolumen: 200 Millionen Euro!
Fünf Jahre Entwicklungszeit

Doch genug der Theorie, ich bin schließlich aus einem ganz besonderen Grund in Kroatien: Ich darf den Rimac Nevera fahren. Über fünf Jahre nachdem ich die Studie auf dem Autosalon Genf gesehen habe, ist die Serienversion fertig. Und in diesen fünf Jahren ist viel passiert. Rimac hat sich vom anfänglich belächelten kroatischen Start-up zu einem Big Player entwickelt.

In die Entwicklung des Nevera flossen rund 1,6 Millionen Arbeitsstunden, es wurden 18 Prototypen von Hand gefertigt, von denen 11 in 45 verschiedenen Crashtest zerstört wurden. Doch der Aufwand hat sich gelohnt, denn jetzt ist der Nevera weltweit homologiert – keine Selbstverständlichkeit bei Hypercars, die in so geringen Stückzahlen gebaut werden.

Mit dem Nevera – der Name bezeichnet übrigens einen kroatischen Sturm – begründet Rimac das neue Segment der vollelektrischen Hypercars. Zwar gibt es in diesem Sektor mittlerweile viele Ankündigungen, unter anderem von Lotus, Nio und natürlich Tesla, doch ausgeliefert wird noch keines dieser Modelle. Anders beim Rimac Nevera und dem ebenfalls bei Rimac gefertigten Pininfarina Battista. Von den 150 geplanten Nevera sind bisher etwa 15 bis 20 Kundenfahrzeuge ausgeliefert. Die Nummer 001/150 ging beispielsweise an Formel-1-Weltmeister Nico Rosberg.
Nicht so auffällig wie ein Pagani oder Koenigsegg

Das macht den Nevera zum Mega-Exoten, was ich bei meiner Testfahrt in und um Frankfurt am eigenen Leib spüre. Egal wo der Nevera auftaucht, versammeln sich die Menschen um das Hypercar. Meistens ohne zu wissen, was da gerade vor ihnen steht. Im Vergleich zu einem Pagani oder Koenigsegg ist der 4,75 Meter lange und 1,21 Meter flache Nevera aber fast schon dezent, was nicht nur an der Farbe liegt.

Dabei ist das, was unter der Carbon-Karosserie steckt, nicht weniger beeindruckend. Das Carbon-Monocoque wiegt nur 186 Kilo und besitzt mit 70.000 Nm eine höhere Torsionssteifigkeit als aktuelle LMP-Rennfahrzeuge. Hinzu kommt, dass die 120-kWh-Batterie das Monocoque um weitere 37 Prozent versteift. Und wo wir gerade schon bei der Batterie sind: Die sitzt T-förmig im Mitteltunnel und hinter den Sitzen – ein bisschen wie bei einem Mittelmotorsportwagen.
So fühlen sich 1914 PS an

Die vier Elektromotoren (zwei pro Achse) leisten unglaubliche 1914 PS und 2360 Nm und wurden natürlich inhouse entwickelt, so wie fast alles am Nevera. Die einzigen Ausnahmen sind das Fahrwerk von KW und die Klimaanlage, die einem Audi R8 entliehen wurde.

Für mich ist jetzt der Moment gekommen: Ich darf den Rimac Nevera fahren. Neben mir sitzt Goran, Testfahrer bei Rimac und großer BMW-Fan. Gelassen erklärt er mir, dass ich den Drehknopf links vom Lenkrad drücken muss, um den Nevera zu starten. In der Zwischenzeit hat sich eine Menschentraube um den Rimac gebildet – schon wieder. Für mich heißt es jetzt aber volle Konzentration, denn unter meinem Fuß lauern 1914 PS und 2360 Nm Drehmoment. Wobei: Genau genommen sind es aktuell nur läppische 1340 PS und 1652 Nm, denn im "Cruise"-Modus werden nur 70 Prozent der Kraft abgerufen.

40 Satz Reifen verbraucht

Goran erklärt mir, dass es fünf Fahrmodi plus zwei Custom-Modes gibt. Den "Range"-Modus (um die optimistisch mit 490 Kilometern angegebene Reichweite zu erzielen) lassen wir heute aus. Den "Drift"-Modus leider auch, denn schließlich sind wir auf öffentlichen Straßen unterwegs. Schade eigentlich, denn von Videos weiß ich, dass der Nevera auf Wunsch locker alle vier Reifen in Rauch aufgehen lässt. Darauf angesprochen grinst Goran und verrät, dass der Nevera 010/150 in den bisher knapp 17.800 abgespulten Kilometern 40 Satz Reifen verschlissen habe – mindestens. Der Nevera soll ein Elektroauto für Petrolheads sein, ein Fahrerauto.

Im Rushhour-Verkehr um Frankfurt spüre ich davon noch nichts. Was mich überrascht, ist, wie gut die Kraft zu dosieren ist. In der Stadt lässt sich der Nevera erstaunlich unstrapaziös bewegen. Das Platzangebot ist mehr als ausreichend, die Sabelt-Schalensitze sind bequem, und es gibt ausreichend Restkomfort. Nur die Soundkulisse ist ungewohnt. Während ich es von anderen Hypercars kenne, einen omnipräsenten V8, V12 oder W16 im Nacken zu haben, ist es im Nevera deutlich ruhiger.

Wirklich leise ist es aber auch nicht, denn ich höre die Elektromotoren surren, die Abrollgeräusche der Michelin Pilot Sport 4S und jeden kleinen Stein in den Radhäusern. Goran ergänzt, dass Rimac bewusst auf künstliche Sounds verzichtet hat. Alles, was ich höre, sind authentische, echte Geräusche.

Dann erreichen wir die Autobahn. Ich wechsle in den Track-Modus. Erst jetzt stehen die vollen 1914 PS zur Verfügung. Der Verkehr ist dicht, doch plötzlich tut sich eine kleine Lücke auf der linken Spur auf. Kein Tempolimit. Goran sagt: "Full throttle!" – also Vollgas. Ich gehorche. Was dann passiert, ist kaum in Worte zu fassen. Anstandslos schießt der Nevera nach vorne. So schnell, dass ich es nicht schaffe, auf den Tacho zu schauen. Später sehe ich, dass wir bei etwa 280 km/h waren. Tempo 280 in Nullkommanichts.

Ich meine, mir war klar, dass der Nevera unfassbar schnell ist, schließlich fühlen sich auch Elektroautos mit 200 PS schon flott an. Aber auf das, was einen bei Vollgas im Nevera erwartet, kann einen niemand vorbereiten.
100-200 km/h in 2,59 Sekunden

Kurz vor meiner Fahrt haben Goran und seine Kollegen in Papenburg noch mal Zeiten gemessen und dabei gleich mehrere Rekorde gebrochen. 0-100 km/h (one-foot-rollout) in 1,8 Sekunden. Eins Komma acht, mit Straßenbereifung (Michelin Pilot Sport Cup 2 R). Noch beeindruckender sind aber die Zwischensprints: 100-200 km/h in 2,59 Sekunden und 200-300 km/h in 4,79 Sekunden. Aus dem Stand geht es in 9,22 Sekunden auf 300 km/h – für diese Disziplin benötigt der 1600 PS starke Bugatti Chiron Super Sport 12,1 Sekunden. Zur Verteidigung der Verbrenner: In Sachen Topspeed hat der Bugatti mit 490,494 km/h die Nase immer noch deutlich vorn.

Die Rekordgeschwindigkeit von 412 km/h erreicht der Rimac allerdings nicht ohne Weiteres, denn die Serienversion ist bei 352 km/h abgeregelt. In Zukunft soll es allerdings im Rahmen spezieller Events und mit der Unterstützung von Rimac die Möglichkeit geben, die elektronische Geschwindigkeitsbegrenzung temporär aufzuheben. So oder so: Nach ungefähr 13 Sekunden Vollgas erreicht der Nevera Vmax.

Diese unglaubliche Beschleunigung ist im Straßenverkehr allerdings grenzwertig. Nicht, weil die Power schwer zu kontrollieren ist (im Gegenteil), sondern weil kein anderer Verkehrsteilnehmer mit dieser irrwitzigen Beschleunigung rechnet. Der Rimac ist so schnell, dass man schon als Fahrer kaum hinterherkommt.

Zwei Sekunden Vollgasrausch

Nach zwei Sekunden ist mein Vollgasrausch schon wieder vorbei. Ich bremse. Hart. Der Nevera hat 390 Millimeter große Carbonkeramik-Scheiben rundherum. Zusätzlich gibt es eine Airbrake, und die Elektromotoren rekuperieren mit bis zu 350 kW. Das ist so, als würde ein aktueller BMW M3 am Heck des Rimac ziehen.

Genug Autobahn. Ich bin überzeugt, der Rimac Nevera ist unfassbar schnell. Vielleicht zu schnell für die öffentliche Straße. Auf jeden Fall zu schnell für den heute herrschenden Verkehr. Jetzt geht es auf die Landstraße, ich wechsle zurück in den Sportmodus. 1340 PS und 1612 Nm oder, anders ausgedrückt, mehr als doppelt so viel Power wie ein Porsche 992 Turbo S bietet – das sollte reichen.

Jetzt wird es richtig interessant, denn bis hierhin bin ich noch kein Elektroauto gefahren, das wirklich Fahrspaß vermittelt und eine Verbindung zwischen Maschine und Fahrer herstellt. Elektroautos sind schnell, doch sie fahren sich oft sehr ähnlich. Hohes Gewicht, tiefer Schwerpunkt, wenig Feedback. Kurzum: zu digital für meinen Geschmack.

Der Nevera wiegt 2300 Kilo

Der Nevera ist tatsächlich anders. Auch er wiegt mit 2300 Kilo viel. Für ein Hypercar eigentlich zu viel, denn selbst ein Bugatti Chiron wiegt "nur" 1995 Kilo, und der hat einen gigantischen W16 an Bord. Doch die Ingenieure bei Rimac haben es geschafft, das Gewicht des Nevera gut zu kaschieren. Das wird beim Einlenken deutlich. Die Lenkung ist direkt, das Auto lässt sich präzise platzieren und fühlt sich sehr agil an.

Das liegt auch am Torque Vectoring. So werden bei Bedarf die kurveninneren Räder abgebremst, wodurch sich der Nevera in die Kurve hineinzieht. Am meisten überrascht mich die Traktion: Egal ob im Sport- oder Trackmodus, die Räder drehen nicht durch. Die Systeme machen einen so guten Job, dass sich der Nevera einfach nach vorne beamt. Ein fast schon gespenstisches Gefühl bei knapp 2000 PS. Selbst eine kleine Kuppe bei Volllast bringt das Auto nicht aus der Balance.
Macht der Nevera auf der Landstraße Spaß?

Nach rund anderthalb Stunden ist meine Fahrt im Nevera schon wieder vorbei. Was bleibt, ist die alles entscheidende Frage: Macht der Nevera auf der Landstraße Spaß? Ja und nein! Ja, weil er sich wie kein anderes Elektroauto fährt. Der Nevera ist agil, mitteilsam und direkt. Nein, weil er eigentlich zu schnell ist. Zwar lässt sich die Power erstaunlich gut dosieren, doch 1914 PS sind auf öffentlichen Straßen schlichtweg zu viel. Die Abschnitte zwischen zwei Kurven fliegen vorbei, man ist permanent zu schnell unterwegs. Kein Wunder: Aus dem Stand ist das Tempolimit nach weniger als zwei Sekunden überschritten!

Gerne würde ich den Rimac noch mal auf abgesperrter Strecke testen, um das volle Potenzial dieses Autos zu erfahren. Denn fest steht: Der Nevera ist ein technologisches Meisterstück – völlig egal, ob man Elektroautos mag oder nicht!
Daran ändert auch der im Detail fehlende Feinschliff nichts. Was ich damit meine, sind Kleinigkeiten wie Fenster, die nicht komplett versenkbar sind (soll zum Modelljahr 2024 kommen), kein Softclose für die Flügeltüren, wie es McLaren beispielsweise schon seit Jahren hat, oder auch eine knackende Lenksäulenverkleidung. Doch auch andere Hypercars sind nicht perfekt.

Der Nevera kostet über zwei Millionen Euro

Zum Basispreis von 2,38 Millionen Euro (2 Millionen Euro netto) sollte Rimac hier noch mal nachbessern. Und wo wir gerade schon beim Preis sind: Der Plan sieht vor, 150 Nevera zu bauen. Interessant ist, dass davon bisher nur rund 50 Stück verkauft wurden. Ein Hypercar, das nicht schon vor Marktstart ausverkauft ist, ist in der heutigen Zeit eigentlich die absolute Ausnahme. Denn wann immer Bugatti, Koenigsegg, Pagani oder auch "Newcomer" wie GMA ein neues Modell ankündigen – es gibt stets viel mehr interessierte Kunden als Autos.
Das zeigt womöglich, dass Rimac der Zeit voraus ist und noch nicht genügend Kunden bereit sind für ein elektrisches Hypercar. Noch nicht.

Fazit von Jan Götze
Mir fehlen immer noch die Worte: Knapp dreimal so viel Leistung wie ein Porsche 911 Turbo S, eine fast schon gespenstische Beschleunigung und dabei praktisch lautlos. Was mich aber wirklich beeindruckt hat, ist die Fahrbarkeit des Nevera. Rimac hat ein in allen Belangen beeindruckendes Auto entwickelt. Für ein Hypercar ist der Nevera aber fast schon zu perfekt. Mir fehlen der Sound und das Drama eines Verbrenners. Bedeutet: Auch ich bin (noch) nicht bereit für ein elektrisches Hypercar.

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