Hyundai Ioniq 5: Retro, aber mit Technik-Vorsprung

2 Jahre, 8 Monate her - 15. Juli 2021, Krone Zeitung
Hyundai Ioniq 5: Retro, aber mit Technik-Vorsprung
Kann es wirklich sein, dass Hyundai die Elektroauto-Konkurrenz derart düpiert? Ja, tatsächlich!

Der Hyundai Ioniq 5 ist das einzige als Massenprodukt zu bezeichnende E-Auto mit 800-Volt-Netz. Und auch sonst sticht der Koreaner heraus. Das Design retro, aber doch supermodern, der Innenraum riesig und in ungewöhnlichen Farben, dazu interessante Ideen - so schaut Vorsprung aus. Aber nicht hundertprozentig in allen Belangen.

In dem Mattgold, völlig unverchromt und wie mit dem Geodreieck konstruiert wirkt der Ioniq 5 beinahe wie aus Kunststoff oder Papier gefaltet, aber das ist natürlich Unsinn. Das Design ist jedenfalls aufsehenerregend, kein Entwurf, der in der Masse untergeht, und auch nicht so überzeichnet, wie etwa ein Hyundai Tucson.

Man sieht ihm an, dass das Platzangebot im Innenraum opulent sein muss. Glatte drei Meter Radstand bei 4,64 Meter Außenlänge sind eine Ansage. Tatsächlich ist er ein Reisemobil für Hünen. Fehlt noch, dass sie optional Basketballkörbe im Innenraum aufhängen. Beim Campingausflug können die Kinder im und rund ums Auto Fangen spielen. Durch die eine Hintertür rein, durch die andere wieder raus, ohne über eine Bodenunebenheit zu stolpern. Das geht auch vorn, wenn die verschiebbare Mittelkonsole in entsprechender Position ist.

Aber bitte vorher Hände waschen und Schuhe abputzen, das Interieur ist empfindlich. Alles in Weiß-Tönen. Wohnlich. Schöner wohnen mit Grüne-Erde-Charakter. Die Teppiche aus alten Fischernetzen gefertigt, von denen man das Meer befreit hat, rundum recycelte Kunststoffe, an der Türverkleidung Oberflächen mit Papierhaptik und das Leder kräuter- statt chemiegegerbt. Da will man keine Flecken riskieren.

Weiß auch der Riesenscreen am Armaturenbrett. Vom Format her ähnlich wie z.B. in einem Mercedes GLA, also zwei 12,3-Zoll-Screens nebeneinander hinter Glas, aber nicht in Schwarz und Chrom gefasst, sondern in Weiß, mit einer Stofffläche links daneben, die wirkt wie der Lautsprecher eines alten Transistorradios (ist aber eine magnetische Mini-Pinnwand). Auch die Bildschirmhintergrundfarbe ist Weiß, dazu pastelliges Zuckerlblau. Sehr hell alles, und nicht immer gut abzulesen, und grafisch unnötig verspielt. Aber das ist wohl die neue Welt, in der man Autofahren nicht also solches ernst nimmt, sondern Mobilität als Gesamtkunstwerk empfindet.

Komfortabel unterwegs
Wobei das Autofahren an sich sehr gut funktioniert. Das Fahrwerk ist so gut abgestimmt, dass man adaptive Dämpfer nicht vermisst. Der Hyundai Ioniq 5 läuft komfortabel, taucht Bodenunebenheiten weg und bringt das Kunststück fertig, trotz merklicher Seitenneigung in schnellen Kurven nicht schwammig zu werden, sondern einfach gut zu liegen. Wer kurvige Bergstraßen mit quietschenden Reifen entlang rast, braucht aber unempfindliche Magennerven. Beifahrer sowieso. Aber Rasen ist nicht die Bestimmung des Ioniq 5, dafür wird das voraussichtlich kommende N-Modell zuständig sein.


Vier Antriebsvarianten zur Wahl
Die Fahrleistungen sind bereits sportlich. Jedenfalls im Topmodell, das aus seinen zwei E-Motoren offiziell 225 kW/306 PS (inoffiziell sind es 224,6 kW/305 PS) sowie 605 Nm herausholt und solcherart allradgetrieben in 5,2 Sekunden aus dem Stand auf Tempo 100 sprintet. Das Höchsttempo wird bei allen Antriebsvarianten (es gibt deren vier) auf 185 km/h begrenzt.

Dieser stärkste Antrieb ist mit dem größeren der beiden zur Wahl stehenden Akkus kombiniert. Er hat eine Kapazität von 72,6 kWh, was je nach Radgröße (19 oder 20 Zoll) für eine WLTP-Reichweite von 460 oder 430 Kilometer reicht.

Nur mit Heckmotor und -antrieb stehen mit diesem Akku 160 kW/217 PS und 350 Nm im Datenblatt, dazu ein Sprintwert von 7,4 Sekunden. Diese Version ist die mit 481 Kilometer (mit 19-Zöllern) reichweitenstärkste.

Basis ist der Hecktriebler mit 58-kWh-Akku, da leistet der Heckmotor 125 kW bzw. 170 PS und er bringt ein maximales Drehmoment von 350 Nm. Mit dem großen Akku kommt er auf 217 PS. Mit Dualmotor-Allrad stehen 173 kW/235 PS bereit. Mit 360 Kilometer ist die WLTP-Reichweite hier am geringsten.


Die Reichweitenangaben scheinen (zumindest bei sommerlicher Witterung) leidlich realistisch. Bei ersten Probefahrten in Spanien bin ich bei vernünftiger, aber nicht fader Fahrweise auf einen Durchschnittsverbrauch von knapp 20 kWh/100 Kilometer gekommen, was nur wenig über der Werksangabe von 19 kWh/100 km für das Topmodell mit 20-Zöllern liegt.

Superschnell laden mit 800 Volt

Das Laden des Akkus geht verhältnismäßig schnell vonstatten, jedenfalls wenn man eine Ionity-Ladesäule anzapfen kann, denn: Der Hyundai Ioniq 5 hat das gleiche vom kroatischen Kooperationspartner Rimac stammende 800-Volt-System wie Porsche Taycan und Audi e-tron GT. Und damit lädt der Koreaner besonders schnell. Wenn in den Akkus nur noch zehn Prozent drin sind, dauert es im besten Fall nur 18 Minuten, bis sie wieder auf 80 Prozent sind - der Ioniq 5 lädt mit bis zu 220 Kilowattstunden! Zum Vergleich: Beim VW ID.4 oder beim Skoda Enyaq sind’s maximal 125 kW.

Oft wird man sich aber mit weniger Ladeleistung begnügen müssen: Mit 50 kW sollte man sich für eine Stunde eine Beschäftigung suchen. Beim Laden mit 11 kW gibt Hyundai die Zeit bis zur 100-Prozent-Vollladung an, das sind über sechs Stunden.

Da bietet sich dann vielleicht die Nutzung der optionalen Liegesitz-2.0-Funktion der Vordersitze an. Auf Knopfdruck falten sie sich zu Loungemöbeln auseinander und laden zum Powernap ein.

Auch während der Fahrt kann der Wagen laden, wenn auch nicht viel: Um 1800 Euro Aufpreis bekommt man ein Solardach, das mit der Kraft der Sonne unter Idealbedingungen pro Jahr bis zu 1500 Kilometer Extra-Reichweite generieren soll.

Rollende Ladestation

Der Hyundai Ioniq 5 kann auch selbst als Ladestation dienen. Mit einem Adapter kann man aus der Strombuchse bis zu 3,6 kW abzapfen und damit z.B. ein E-Bike versorgen. Oder sonst etwas, was 230 Volt braucht. Eine weitere Steckdose kann man im Innenraum an der Rückbank mitbestellen.


Was man laden möchte, kann man im 527 bis 1587 Liter großen Kofferraum mitbringen. Der Standardkofferraum lässt sich dank verschiebbarer Rückbank auch erweitern.
Ein kleines Extrafach ist noch unter der Fronthaube, je nach Antriebskonfiguration passen in den Frunk 24 oder 57 Liter hinein. Auf jeden Fall die Ladekabel.


Geheimnisfreies Bediensystem

Das Navitainment ist durchaus übersichtlich in seiner Bedienbarkeit. Auch selten gebrauchte Funktionen lassen sich leicht finden. Praktisch ist, dass man seine Hand zum Tippen auf dem Touchscreen am Armaturenbrett abstützen kann. Was nicht möglich ist, ist die automatische Planung einer längeren Route inklusive Ladestopps, wie man das z.B. von Tesla kennt.


In der Topausstattung ist ein echtes Head-up-Display an Bord, das allerdings eine für Gleitsichtbrillenträger nicht ideale Position hat. Hyundai spricht sogar von einem Augmented-Reality-Head-up-Display, aber das ist nicht so ausgefeilt wie neuerdings bei Mercedes.

Kritik an Assistenzsystemen
Der Ioniq 5 hat richtig viele Assistenten, wenn auch teilweise aufpreispflichtig, und ist damit nominell auf der Höhe der Zeit. Es gibt sogar einen Airbag zwischen den Vordersitzen und das Parkkamerasystem ist auch richtig gut. Aber: Dem autonomen Fahrassistenten fällt es sogar in leichten Autobahnkurven schwer, den Linien zu folgen. Er ist generell oft zu nah an der Linie, manchmal fährt er ohne Not einfach drüber. Und in leichten Kurven holt er teilweise außen aus, um dann am Ende der Kurve auf der anderen Seite über die Linie hinauszufahren. Da springt dann sogar der Spurverlassenswarner an. Eine auffällige Warnung ist nicht zu erwarten, auch dann nicht, wenn sich das System wegen Überforderung abschaltet.


Eine akustische Warnung kommt nur, wenn er glaubt, dass man das Lenkrad losgelassen hat. Die Warnung kommt aber auch dann ständig, wenn man das Lenkrad fest in beiden Händen hab, weil die Sensorik nur reagiert, wenn man auch daran dreht. Was aber unsinnig ist, weil man dann ja auch gleich selber lenken könnte. Und der Tempolimitassistent ist genauso unzuverlässig wie anderswo auch. Es ist generell zu empfehlen, das Limit nicht automatisch übernehmen zu lassen - es ist nicht lustig, wenn das Auto auf der Autobahn plötzlich grundlos herunterbremst.


Die Preise
Die Preisliste fängt an bei 46.000 Euro für die Base Line mit kleinem Akku. Der größere kostet 3000 Euro Aufpreis, bringt aber an die 100 Kilometer Mehrreichweite. Die Ausstattung ist gut, aber trotz serienmäßiger LED-Beleuchtung rundum ist in der Basisausstattung kein LED-Fernlicht inkludiert. Das kommt erst mit der noch besser ausgestatteten Plus Line. Wieder 3000 Euro mehr.
Das Top-Modell mit Allradantrieb und großer Batterie kommt auf 60.000 Euro. Was immer extra kostet, ist die Wärmepumpe, die vor allem im Winter für mehr Reichweite sorgt. Macht 1300 Euro extra. LED-Matrix-Scheinwerfer sind nicht erhältlich.


Derzeit bietet Hyundai den Ioniq 5 zum Aktionspreis an, allerdings nur das Basismodell namens Base Line mit kleinem Akku und Heckantrieb. Auf eine höhere Ausstattungslinie, einen stärkeren Antrieb oder einen größeren Akku muss man verzichten. 39.990 Euro ruft der Importeur auf, wobei der Preis besser klingt, als er ist - er beinhaltet den obligatorischen Händleranteil der E-Mobilitätsförderung. Daher beträgt der Preisvorteil nicht 6000 Euro, sondern nur 3600 Euro. Eigentlich müsste Hyundai 42.390 Euro als Aktionspreis nennen. 2400 Euro kann man auch vom Listenpreis abziehen, zusätzlich 3000 Euro staatliche Förderung, wenn man die Voraussetzungen erfüllt.

Fahrzit:
Viel Geld für richtig viel Auto. Aber der Gegenwert passt. Trotzdem ist es schade, dass man bei dem Preisniveau keine Chance hat auf Dinge wie LED-Matrix-Scheinwerfer. Auch die halbherzige Streckenplanung stört das Gesamtbild.
Unterm Strich ist der Hyundai Ioniq 5 aber ein großer Wurf. Mit Nachlässigkeiten im Detail zwar, aber er macht vieles anders und besser als andere. Technologisch gesehen stellt er die anderen Volumen-E-Auto-Hersteller ganz klar ins Abseits. Ob er ein Volltreffer ist, ist ein Stück weit Geschmackssache.

Warum?
Weitab von Einheitsoptik
Superschnelles Laden
Gute Fahreigenschaften

Warum nicht?
Untauglicher autonomer Fahrassistent

Oder vielleicht …
… Audi Q4 e-tron, VW ID.4, Skoda Enyaq, Tesla Model Y

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